Vorwort zu “Medienfreiheit – Anspruch und Wirklichkeit“

 

Über die Verantwortung der Presse

 

von Sean MacBride

 

Der Vorsitzende der UNESCO-Medienkommission (International Commission for the Study of Communication Problems), auf dessen Arbeit in diesem Buch mehrmals eingegangen wird, Sean MacBride, stellte als Vorwort grundsätzliche Ausführungen über die Freiheit der Presse und die Verantwortung der Journalisten zur Verfügung.

 

MacBride geht davon aus, daß seit dem Zweiten Weltkrieg eine Ge­wichtsverlagerung „im Zentrum der Macht" stattgefunden hat. Die Be­deutung der öffentlichen Meinung ist gewachsen; diese ist imstande, sich zu informieren; sie vermag sich ein Urteil zu bilden und sich ver­nehmlich zu machen, und das nicht nur in demokratischen Ländern. Regierungen müssen gegenwärtig mit der öffentlichen Meinung im Lande und in der Welt rechnen, „und diejenigen, die mit der Versor­gung der Öffentlichkeit mit Nachrichten morgen betraut sein werden, tragen dann noch größere Verantwortung als jene, die heute die Nach­richtenübermittlung kontrollieren", sagt Sean MacBride.

 

Drei Komplexen mißt er besonderes Gewicht bei: der Rolle des „nachforschenden Journalisten" (investigative Journalist), der zuneh­menden Pressekonzentration in den Händen weniger Eigentümer, und dem — nicht zuletzt mit den genannten Erscheinungen zusammenhän­genden — Problem des notwendigen Schutzes der Journalisten bei der Ausübung ihres Berufes.

 

 

Der nachforschende Journalismus

 

Mit der Zunahme des Einflusses der öffentlichen Meinung und der Massenmedien geht eine begrüßenswerte Entwicklung einher, die wachsende Bedeutung des „nachforschenden Journalisten". Da die öffentliche Meinung mittlerweile eine Stellung innehat, von der aus sie auf die Politik der Regierungen Einfluß nehmen oder Regierungen verwerfen kann, die ihren Erwartungen nicht genügen, ist die Rolle des nachforschenden Journalisten wesentlich und entscheidend geworden. Sie besteht darin, die Handlungen der Regierungen und der Bürokratie in Frage zu stellen und zu überprüfen und sie da, wo Abweichungen vorkommen, aufzudecken.

 

Die steigende Zentralisierung von Regierungs- und Behördentätigkeit, zusammen mit dem Anwachsen internationaler Monopole und multina­tionaler Konzerne hat, so scheint es, zu einer ungeheuren Zunahme der Korruption auf allen politischen Ebenen geführt. Die jüngsten Eröffnungen über die Bestechung von Staatsoberhäuptern, Premiermini­stern, politischen Führern, Generälen und Parlamentsmitgliedern, sind nur die offen sichtbaren Anzeichen eines schweren Problems, welches für die demokratische Regierungsform neue Gefahren entstehen läßt. Es mag durchaus sein, daß es Bestechung von Regierungsbeamten und Generälen schon immer gegeben hat, doch der Machtzuwachs bei den Multinationalen und den militärisch-industriellen Komplexen hat das Ausmaß dieser Gefahr vergrößert. Die Lockheed-Bestechungen, die Muldergate-Skandale, die Verletzung der ölsanktionen durch die ölgesellschaften sind die sichtbaren Anzeichen einer tiefsitzenden und weitreichenden Bedrohung für die demokratische Regierungsform. Der wirksamste Schutz gegen diese Art von Korruption ist ihre Aufdeckung durch die Massenmedien. Und hier gewinnt die Rolle des nachfor­schenden Journalisten eine größere Bedeutung denn je. Man könnte sagen, daß die Aufdeckung durch den nachforschenden Journalisten in der Tat, wenn auch nicht die einzige, so doch gewiß die wirksamste Schutzvorrichtung gegen den Krebsschaden der Korruption ist. Ihrem Wesen nach ist Korruption in den oberen Rängen, wie sie von den mächtigen multinationalen Konzernen gefördert wird, schwierig zu ent­hüllen und durch irgendwelche Mittel zu stoppen. Der Bestecher und der Bestochene können auf Grund der engen Verbindungen zu Re­gierungsstellen gewöhnlich ihr unmoralisches Verhalten verbergen.

 

Die Aufgabe des nachforschenden Journalisten ist überdies lebens­wichtig im Kampf um die Sicherstellung eines wirksameren Schutzes der Menschenrechte. Die Internationale Kommission der Juristen und „Amnesty International" haben herausgefunden, was mittlerweile all­gemein anerkannt wird, daß politische Gefangene in über 60 Ländern systematisch gefoltert worden sind. In vielen Ländern ist die Folter für politische Gefangene in den Internierungsorten zu einem Bestandteil des Mechanismus der Regierung geworden, und die gewonnene Er­fahrung hat zu der Feststellung geführt, daß die einzig wirksame Maß­nahme gegen den Gebrauch der Folter durch die Regierungen die öf­fentliche Bloßstellung solcher grausamen Handlungen ist. In manchen Fällen ist es wohl möglich, die Anwendung der Folter durch die Regie­rung in Gerichtsverfahren vor inländischen oder internationalen Ge­richtshöfen bloßzustellen, doch in vielen Fällen ist dies eben nicht möglich. Auch hier wieder haben der nachforschende Journalist und die Massenmedien eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, um die öffentli­che Meinung zu informieren.

 

Der Bericht der Internationalen Kommission zum Studium der Kommu­nikationsfragen, dem zu präsidieren ich die Ehre hatte, spricht sich ka­tegorisch aus über die Wichtigkeit, den nachforschenden Journalisten zu schützen:

 

„Die Rolle des nachforschenden Journalisten ist, die Handlungen all derer, die behördliche Autorität ausüben, zur Frage zu stellen und zu überprüfen, und aufzudecken, wo immer Machtmißbrauch, Inkompe­tenz, Korruption oder andere Normabweichungen vorkommen. Dieses Vermögen, auf bürokratisches Fehlverhalten und Korruption bezogene Angelegenheiten zu verfolgen und sie zu veröffentlichen, ist von be­sonderer Bedeutung, denn es handelt sich um eines der wirksamsten Mittel, um sicherzustellen, daß Ineffizienz und Unehrenhaftigkeit, wo immer sie auftreten, nicht erlaubt wird, das ganze System zu verder­ben oder Unrecht entstehen zu lassen. Die an der Macht Befindlichen stellen sich darum auch sehr häufig Versuchen entgegen, über die of­fiziellen Pressemitteilungen hinaus nachzuforschen oder über die ge­wöhnlich zugänglichen Quellen hinaus Informationen einzuholen. Dar­über hinaus kommt es oft vor, daß der Arbeitgeber des nachforschen­den Journalisten nicht allzu eifrig in der Verteidigung und im Schutz für seinen Angestellten ist.

 

Alle diese Erwägungen, wie auch die in bestimmten Fällen von Zei­tungsverlegern verfügten Beschränkungen, laufen darauf hinaus, daß der Journalistenberuf in verschiedenen Ländern durch eine Krise hin­durchgeht. Das kann zu einer Lage führen, in der ehrliche Journalisten ihren Beruf aufgeben und junge Menschen mit dem Talent zu diesem Beruf ihn gar nicht erst ergreifen."

 

Eigentumskonzentration

 

Eine ernsthafte Gefahr für die „Pressefreiheit" und die Integrität der Journalisten ergibt sich aus der ständig anwachsenden Tendenz zur Konzentration des Eigentums an Zeitungen in den Händen weniger multinationaler Gesellschaften. Seit 1945 hat in den Vereinigten Staa­ten die Zahl der Zeitungsgruppen, die in die Hände desselben Eigen­tümers übergegangen sind, von 60 auf 105 zugenommen. Diese Grup­pen besitzen mehr als 60% der 1 812 Tageszeitungen in den USA. In der Bundesrepublik Deutschland hat die Zahl der unabhängigen Zei­tungen von 225 im Jahre 1960 auf 134 im Jahre 1973 abgenommen. In Frankreich besitzt die Hersant-Gruppe 14 der insgesamt 17 Tageszei­tungen; die Matara-Gruppe aus Waffenherstellern hat gerade den größ­ten Verlag in Frankreich übernommen. In Britannien hat jetzt Rupert Murdock aus Australien die TIMES und die SUNDAY TIMES und einige andere Blätter aufgekauft. Zudem besitzt er die NEW YORK DAILY NEWS und einige andere Zeitungen in den USA. Dann gibt es da noch die traurige Geschichte des SUNDAY OBSERVER in England, der ins Eigentum der amerikanischen ölgesellschaft Atlantic Richfield überge­gangen war und nun hinter dem Rücken des Zeitungsstabes und der Verlagsleitung an Lonrho und Tiny Rowlands gekommen ist. Aus dem Muldergate-Skandal wissen wir auch, daß die südafrikanische Regie­rung den Versuch unternommen hat, in den USA und Britannien Zei­tungen zu kaufen. Wir wissen nicht, bis zu welchem Grade sie dabei erfolgreich war.

Diese Pressekonzentration in den Händen von multinationalen Gesell­schaften stellt eine Bedrohung dar, nicht nur für die Unabhängigkeit und Objektivität der in Frage kommenden Zeitungen, sondern auch für die Unabhängigkeit der dort beschäftigten Journalisten. Es handelt sich hier um ein schwerwiegendes Problem, dem sich Gewerkschaften und Berufsorganisationen der Journalisten ernsthaft widmen sollten. Konzentration von Presseerzeugnissen und elektronischen Medien beim selben Eigentümer führt zur Verringerung der Vielfalt der Nach­richten- und Informationsquellen. Sie tendiert auch dazu, die Freiheit der Journalisten zu behindern.

 

Schutz für Journalisten

 

Noch ein anderes Problem erfordert unsere ernste Aufmerksamkeit. Es ist die Notwendigkeit, Journalisten in der Ausübung ihrer Arbeit bes­seren Schutz zu gewähren. Es gibt wohl kaum einen Beruf, der dem „Risiko" mehr ausgesetzt ist als der des Journalisten. Es werden ver­hältnismäßig mehr Journalisten getötet oder „zum Verschwinden ge­bracht" als das in anderen Berufen der Fall ist. Diejenigen Journali­sten, die ständig Opfer von Repressionen werden, setzen Leben und Freiheit aufs Spiel, um ihre Pflicht zu erfüllen, nicht nur gegenüber ihren Arbeitgebern, sondern gegenüber der Öffentlichkeit allgemein. Doch wenig geschieht, um ihnen Schutz zu gewähren. Man kann in der Tat sagen, daß abgesehen von Erklärungen des Bedauerns und der Sympathie die Schicksale von Journalisten, die entführt oder ermordet worden sind, nur geringe Anteilnahme seitens der Regierungen er­fahren.

 

Neben dem physischen Schutz von Journalisten, die einen gefährlichen Auftrag zu versehen haben, ist es ebenso wesentlich, daß versucht wird, ihnen im Rahmen ihrer Berufsarbeit Schutz zukommen zu lassen. Es ist unvermeidlich, daß manche Regierung, manche Politiker, Büro­kraten oder Kontrolleure wirtschaftlicher Macht versuchen, die Rolle des nachforschenden Journalisten zu beschneiden oder die Kontrolle über die Organe der öffentlichen Meinung zu erlangen. In vielen Be­reichen der Welt stehen Presse wie elektronische Medien unter der Kontrolle von Regierungsbehörden, während die Journalisten jedweder wirklichen Freiheit der Kritik beraubt sind. In vielen Fällen werden diejenigen, die ihren Beruf ehrlich und mutig auszuüben streben, Opfer von Willkür und verlieren die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

 

In den letzten 20 Jahren hat es von Seiten verschiedener Journalisten- und Verlegerverbände manchen Versuch gegeben, zu einer Konven­tion über den Schutz von Journalisten zu gelangen, so von Seiten des Internationalen Journalistenverbandes, des Internationalen Presseinstituts und der Internationalen Vereinigung der Zeitungsredakteure.

 

Als Generalsekretär der Internationalen Juristenkommission hatte ich in der Vergangenheit das Vorrecht, in Zusammenarbeit mit verschiede­nen Journalistenorganisationen Entwürfe für eine solche Konvention zu erarbeiten. Jedoch haben diese Entwürfe nie zur Annahme einer kon­kreten internationalen Konvention zum Schutz der Journalisten geführt. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, daß immer dann, wenn ein Journalist getötet, inhaftiert oder entführt wird, es eine Zeitlang einen Aufschrei in der Öffentlichkeit gibt; daß Regierungen dann gewillt, ja sogar eine Zeitlang enthusiastisch für solche Bemühungen um Schutz sind; sobald aber dann einmal der Schock und der Schrecken vorüber sind, auch der Enthusiasmus für Handlungen zur Abhilfe zu schwinden beginnt. Das Problem wird dann an die „Verlustabteilung" der Regie­rungsinteressen überwiesen, bis die nächste Tragödie geschieht.

 

Das ganze Problem der Gewährung von Schutz für Journalisten ist im internationalen Recht kein einfaches, sondern sehr verwickelt. Weder die Regierungen noch die Zeitungseigentümer zeigen sich darum be­sonders besorgt. Um die Aufmerksamkeit von diesem Problem abzu­lenken, sind irreführende Argumente dahingehend vorgebracht wor­den, daß dergleichen Vorhaben auf die Registrierung von Journalisten hinauslaufen würde. Es gibt keinerlei Grund dafür, daß dies zur Re­gistrierung von Journalisten führen könnte oder müßte. Diese Ange­legenheit müssen die Organisationen und Gewerkschaften der Journa­listen selbst in die Hand nehmen. Wenn sie das tun, so hoffe ich, wer­den sie hinreichende Unterstützung von Anwälten und Menschen­rechtsorganisationen erhalten.

 

7. Juli 1981        Sean MacBride

 

(Übertragung aus dem Englischen Peter G. Spengler)